Kirchenräume

Wozu dienen Kirchenräume?

Wenn ich meinen Schulkindern diese Frage im Religionsunterricht stellte, so schienen die Antworten zunächst sehr einfach: „… um zu beten, um an der Messe teilzunehmen, um Schulgottesdienst zu feiern …“ Dann erfolgten oft Antworten wie: „Wir waren zu einer Taufe in der Kirche, zu einer Erstkommunionfeier, zu einer Hochzeit …“. Ein Schüler erzählte mir, dass seine Oma jede Woche eine Kerze vor einer Marienstatue entzündet, andere davon, dass sie im Urlaub besonders schöne Kirchen besichtigt hätten, auf Kirchtürme geklettert seien, Schatzkammern besucht hätten.

Kirchen haben also viele Funktionen. Schauen wir auf unsere Marienkirche. In ihrem Kirchenraum haben dieses Jahr nicht nur pastorale und spirituell ausgerichtete Veranstaltungen stattgefunden – das wäre so selbstverständlich, dass es keiner besonderen Erwähnung bedarf. Aber im Kirchenraum fanden Covid-Impfungen statt (Impfungen in der Kirche – vor zwei Jahren noch undenkbar!), also sozial-gesellschaftliche Aufgaben.

Unser Kirchenraum diente der Wilhelm-Raabe-Schule als Versammlungsort für die Zeugnisausgabe der Abiturklasse – auch ein gesellschaftlicher Beitrag. Auf diese Weise konnte jeder Abiturient/jede Abiturientin mehr Familienangehörige mitbringen, als es in der Schulaula in Coronazeiten möglich gewesen wäre. Der Vater einer Abiturientin erzählte mir später: „Eigentlich stehe ich sehr distanziert zur Institution Kirche, aber ich muss gestehen, dass dieser schöne Kirchenraum auch atmosphärisch einen guten Rahmen für diese Feier bot.“

Im Dezember ist ein Konzert für unsere Kirche geplant. Wie in vielen Lüneburger Kirchen werden die Räume für kulturelle Zwecke (Musikdarbietungen, Ausstellungen, Lesungen …) genutzt. Kirchen bieten auch Foren für besondere Aktionen, z.B. „Bürgerkanzel“ und „Kirche trifft Wissenschaft“ an.

Wo besonders traurige Dinge geschehen – z.B. der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz, die Attentate in Würzburg, fremdenfeindliche Attacken – finden sich Menschen in Kirchen ein. Dabei dienen sie als Orte des Trostes und des Schutzes, der Trauer und Besinnlichkeit.

Wir kennen Kirchen, die zu bestimmten Zwecken gebaut und ausgerichtet sind, z. B. die Autobahnkirchen. Sie werden auch „Raststätten der Seele“ genannt. Wallfahrtskirchen geben uns die Gelegenheit, besondere Reliquien zu verehren. So finden Wallfahrten zum „Heiligen Rock“ im Trierer Dom statt; die Kathedrale von Santiago di Compostela stellt das Ziel des Jakobswegs dar; in der Wieskirche in Bayern wird eine Statue des gegeißelten Christus besonders verehrt.

Viele Kirchen werden auch von Touristen besucht. Sie werden als architektonische Kunstwerke gesehen, ihre Ausstattungen bewundert, z. B. Deckengemälde, Fenster, Statuen, Bilder … So ist das Freiburger Münster als „Himmel in Stein“ bezeichnet worden. Sein Turm als „der schönste Turm der Christenheit“. Die Kathedrale von Metz wird wegen ihrer zahlreichen Glasfenster (u. a. von Marc Chagall) auch die „Laterne des lieben Gottes“ genannt; der Turm der Martinskirche in Landshut (höchster Backsteinturm der Welt) als „Finger Gottes“.

Wir kennen Kirchen, die sich einer besonderen Ausrichtung verpflichtet haben, z. B. der Nagelkreuzgemeinschaft. Diese ist ein weltweites Netzwerk, das sich – in enger Verbindung zur Kathedrale von Coventry – für Frieden und Versöhnung einsetzt, so in Deutschland beispielsweise die Antoniterkirche in Köln, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin oder die Benediktinerabtei Ottobeuren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden Kirchen als Erinnerungsräume und Gedächtnisorte. Ein Beispiel ist die St. Norbert-Kirche in Friedland, dem Ort des „Grenzdurchgangslagers“. Mit den Worten: „Wir brauchen nicht nur Häuser zum Wohnen, sondern auch ein Haus für die Seele“, bekundete der damalige „Lagerpfarrer“ Krahe sein Grundverständnis. Auch die „Sühnekirche vom Kostbaren Blut“ in Bergen ist als Mahn- und Gebetskirche für die Opfer des Konzentrationslagers Bergen-Belsen 1961 errichtet worden.

Kirchen können viele Funktionen haben. Auch der Standort kann die Initiative zu besonderen Angeboten bewirken. So bietet die Kirche Santa Maria di Trastevere (Rom) regelmäßig Mahlzeiten für arme Menschen in der Kirche an.

Kirchenbauten prägen Orte. Sie können – gerade in ländlichen Gebieten – den Mittelpunkt des Ortes markieren. Die Stiftung Denkmalschutz bezeichnet Dorfkirchen auch liebevoll als „Die Schönen vom Lande“.

Kirchen sind Häuser, die einladen zu Gebet und Besinnung, zu Feiern und zum Innehalten. Sie können die Verbundenheit mit einer Gemeinschaft bestärken. Sie sind ein Willkommensort, ein Ort der Gastlichkeit, ebenso ein Ort der Rituale. Sie bieten Platz für kulturelle Veranstaltungen und erweisen sich als „Gastgeber“ für soziale und gesellschaftliche Anliegen.

Monika Korthaus-Lindner

(Dieser Artikel stammt aus unserem Gemeinde-Journal „Salz der Erde“, 2022/3, S. 9.)