Lokale Kirchenentwicklung
Was ist eigentlich … Lokale Kirchenentwicklung?
In den letzten Jahren haben viele in der deutschen Kirche vor allem Mangel wahrgenommen: Mangel an Priestern, Mangel an Geld, Mangel an Gläubigen.
An den Zulassungsbedingungen zum Priestertum werden wir wohl in absehbarer Zeit nichts ändern können, auch wenn wir noch so viel darüber diskutieren. Das hat vor allem weltkirchliche Gründe. Auch wenn die Kirchensteuereinnahmen durch die gute Konjunktur zur Zeit fließen, dürfen wir nicht vergessen, dass das Bistum Hildesheim 2003 kurz vor der Pleite stand. Nur durch die Strukturreform „Eckpunkte 2020“ konnten die Bistumsfinanzen wieder auf ein solides Fundament gestellt werden. Es gilt aber auch wahrzunehmen, dass durch den demographischen Wandel in den kommenden Jahren die Mitgliederzahlen in der deutschen Kirche bis zu einem Drittel abnehmen werden.
Wie also darauf reagieren? Das Bistum Hildesheim hat seinerzeit damit begonnen, viele Gemeinden zusammenzulegen. Man ging damals davon aus, dass im Jahr 2020 etwa 120 Pfarrer zur Verfügung stehen würden. Aus diesem Grund wurden bis heute 119 neue, deutlich größere Pfarreien gegründet. Doch schon jetzt steht fest: Im Jahr 2020 werden in unserem Bistum voraussichtlich nur noch etwa 70 Pfarrer zur Verfügung stehen. Nicht jeder Priester wird in der Lage sein, eine große Pfarrei zu leiten. Auch haben durch die Fusion der Gemeinden viele Gläubige ihre Beheimatung verloren, weil die neuen, großen Pfarreien für viele zu anonym und unübersichtlich sind.
Daher hat das Bistum vor einigen Jahren begonnen zu fragen, wie Gemeinden in anderen Ländern mit dieser Situation umgehen. In Südamerika z.B. hat ein Priester oft noch weit mehr Gemeinden zu betreuen als bei uns. Ein Bischof sagte einmal: „Die deutsche Kirche hat viel mehr hauptberufliche Mitarbeiter als anderswo, sie ist aber bei weitem nicht die lebendigste.“
Zahlreiche „Exposure-Reisen“ haben auch nach England, Frankreich, Südafrika, Indien und auf die Philippinen geführt. Die Situationen in diesen Ländern sind sehr unterschiedlich, doch haben alle lebendigen Gemeinden dort zwei Merkmale gemeinsam: Sie haben sich um das Wort Gottes herum versammelt und handeln daraus, und die Gläubigen gestalten und leiten ihre Gemeinde im Bewusstsein der Berufung zum gemeinsamen Priestertum aller Getauften.
Aufgrund dieser Erfahrungen wurde in unserem Bistum geschaut, ob es auch hier Anfänge der neuen Art des Kircheseins gibt. Wo haben Gläubige bereits begonnen, Kirche nicht mehr als Gemeinschaft zu verstehen, die sich um den Pfarrer herum versammelt und ihm bei seiner Arbeit hilft, sondern als eine Gemeinschaft von Getauften, die Verantwortung für Aufbau und Leitung der Gemeinde übernimmt, unterstützt von Pfarrer und Hauptberuflichen?
Ausgehend vom Wort aus dem Buch Jesaja „Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43,19) wurden Gemeinden ermutigt, diese Aufbrüche weiter zu entwickeln. Im Jahr 2011 hat Bischof Norbert mit einem Hirtenwort zur österlichen Bußzeit und mit der Schrift „Lokale Kirchenentwicklung – Orientierungen“ alle Gemeinden dazu ermutigt, neue Wege des Kircheseins zu erproben. Vorausgegangen war die Erkenntnis, dass man in unserem großflächigen Bistum keine pastoralen Pläne (mehr) entwickeln kann, die gleichermaßen für alle Gemeinden gelten. Zu unterschiedlich sind die Situationen vor Ort (also lokal) und zu sehr hängen mögliche Entwicklungen von Kirche von den Menschen vor Ort ab, von ihren Begabungen, Interessen und Fähigkeiten.
Entstanden sind in einigen Modellgemeinden erste Teams, die Anteil an der Leitung der Gemeinde haben – in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Pfarrer. „Leitung“ meint dabei nicht, das zu tun, was jetzt die Hauptberuflichen erledigen. Für mich heißt es, „Auge und Ohr“ in die Gemeinde hinein zu sein, zu erkennen, was gebraucht wird, Aufgaben und Aktivitäten zu koordinieren, in einem verbindlich festgelegten Rahmen Entscheidungen zu treffen. Das Leitungsteam soll vernetzen – aber nicht alles selber tun.
Zugleich unterscheidet unser Bistum wieder stärker zwischen der Pfarrei als struktureller Größe, die mehrere Vor-Ort-Gemeinden verbindet. Gemeinde ist überall dort, wo Menschen sich versammeln, um den Glauben zu leben und zu feiern. Im Jahr 2013 wurde von Bischof Norbert ein Zwischenbericht „Gemeinsame Verantwortung in lokalen Gemeinden der Pfarreien“ herausgegeben. Darin beschreibt er einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Kirche – auch auf Grundlage des Kirchenbildes, das schon vor 50 Jahren das II. Vatikanische Konzil beschrieben hat.
Er fordert dazu auf, in allen Gemeinden sogenannte „lokale Leitungsteams“ zu bilden bzw. wählen zu lassen, die – in Zusammenarbeit mit dem Pfarrer – Verantwortung in der Leitung ihrer Gemeinde übernehmen. Dieses Modell soll, wünscht sich der Bischof ausdrücklich, Standard in unserem Bistum werden. Andere Diözesen schauen sehr interessiert auf diese Entwicklung in unserem Bistum, drücken nicht selten ihre Bewunderung aus und fragen mitunter: „Macht ihr das wirklich?“
Bei den lokalen Leitungsteams geht es nicht einfach nur ums „Machen“. Kirche und Gemeinde sollen künftig nicht mehr nur von den Aufgaben her gedacht werden, die es schon lange gab und für die man – oft vergeblich – Mitarbeitende sucht. Kirche soll gedacht werden von den Gläubigen her, von ihren Charismen, ihren von Gott geschenkten Begabungen. So soll der Bildung eines lokalen Leitungsteams immer auch ein geistlicher Prozess vorausgehen.
Wir haben in unserer Pfarrei begonnen, diesen Weg zu gehen. Einiges ist inzwischen entstanden, vieles ist noch offen, muss entwickelt und erprobt werden. Gemeinsam mit den neuen lokalen Leitungsteams freue ich mich auf diesen Weg und bin neugierig, wohin Gott uns führen wird.
Dieser Artikel stammt aus unserem Gemeinde-Journal „Salz der Erde“ 1/2015, S. 6-7.