Das St.-Bonifatius-Stift
Eine kleine Geschichte der St.-Marien-Gemeinde
Kommunikantenanstalt, Kinderheim, Sprachheilkindergarten
Wenn Sie heute den Namen „Bonifatius“ hören, mögen viele an den Hl. Bonifatius denken, den „Apostel der Deutschen“, an das nach ihm benannte „Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken“ mit Sitz in Paderborn oder an seine Grabstätte im Dom von Fulda, an der sich die Deutsche Bischofskonferenz seit 1867 alljährlich zu ihrer Herbstvollversammlung trifft.
Oder Sie denken an die „Heilpädagogische Kinder- und Jugendhilfe St. Bonifatius“ bzw. den „Sprachheilkindergarten St. Bonifatius“ mit Sitz in Lüneburg, die seit dem 1. Januar 2011 von der „Stiftung Katholische Kinder- und Jugendhilfe im Bistum Hildesheim“ getragen werden. Die Geschichte dieser beiden Lüneburger Einrichtungen ist eng mit der unserer Pfarrgemeinde verknüpft.
1850 war die kath. St.-Marien-Gemeinde zu Lüneburg gegründet worden, der Bau der St.-Marien-Kirche in der Wallstraße war 1858 durch die Kirchweihe endgültig abgeschlossen worden, der „Alltag“ war in das Leben der Gemeinde eingekehrt.
Wilhelm Sander, von 1884-1901 Pfarrer von St. Marien Lüneburg, leitete die Gemeinde umsichtig und kreativ. Er regte nicht nur die Gründung zahlreicher neuer Bruderschaften und Vereine an und initiierte die Erweiterung der katholischen Volksschule, sondern auch die Gründung des Bonifatiusstifts.
Im Oktober 1885 schrieb er einen Brief an Bischof Daniel Wilhelm Sommerwerck, in dem er diesen um die Genehmigung bat, in Lüneburg eine „Kommunikantenanstalt“ errichten zu dürfen. Er begründete dieses Anliegen v.a. mit den Notwendigkeiten der katholischen Missionstätigkeit im Norden der Diözese Hildesheim und verwies auf die zu erwartenden Erfolge: dass deutlich mehr Kinder katholischer Eltern ihrerseits katholisch bleiben würden. Für die Verwirklichung dieses Plans hatte er vorgesorgt, indem er bereits ein entsprechendes Grundstück gekauft hatte. Der Bischof erteilte seine Genehmigung.
So entstand in unmittelbarer Nachbarschaft zur Pfarrkirche das Bonifatiusstift als Kindergarten und Kommunikantenanstalt, dessen Leitung am 1. Oktober 1887 die bereits im Vorjahr zur ambulanten Krankenpflege nach Lüneburg gekommenen „Hildesheimer Vinzentinerinnen“ übernahmen. Es diente im Wesentlichen dazu, für die vielen kath. Kinder der Außenbezirke eine Bleibe zu schaffen, in der sie im Glauben unterrichtet und auf den Empfang der Sakramente (Beichte und Erstkommunion) vorbereitet werden konnten. Gleichzeitig wurden sie in der kath. Schule unterrichtet und nahmen am Leben der Kirchengemeinde in der kath. Kirche teil: Kirche, Schule und Bonifatiusstift waren somit ein kath. Zentrum in der Diaspora.
„Kommunikantenanstalten“ waren in der kath. Diaspora recht weit verbreitet. 1914 gab es im Norden des Bistums Hildesheim Kommunikantenanstalten in Celle, Lüneburg und Hamburg-Harburg. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gab es im Bistum Hildesheim Waisenhäuser und Kommunikantenanstalten außerdem in Hildesheim, Braunschweig, Hannover-Döhren, Helmstedt und Bad Lauterberg.
Überall aber galt, dass die Gemeinde selbst für die Kosten aufkommen musste – oder sie musste Privatleute finden, die dafür sorgten, oder die Finanzierung z.B. durch eine Vielzahl von Bettelbriefen zu sichern versuchen. Das wiederum bewirkte, dass in vielen Jahren die Sorgen um die Abzahlung der Schulden und der Zinsen sowie v.a. um die Versorgung der Kinder groß wurden. Dennoch überstand das Bonifatiusstift diese Jahre, auch die des Ersten Weltkriegs (1914-1918), der Hyperinflation in Deutschland (1923) und der Weltwirtschaftskrise (1929-1932) – oft mit Hilfe des Bischofs von Hildesheim, des Bonifatiusvereins oder mancher privater Geber. Manchmal wurde es aber so „eng“, dass bisweilen sogar die Schließung drohte. Auf der anderen Seite hatte Pfarrer Klemens Wenig (1901-1925) das Bonifatiusstift um einen Flügel erweitern lassen können.
Das Bonifatiusstift funktionierte auch in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Auch die bis zu drei Kapläne der „Wandernden Kirche“ wohnten dort. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war es zunächst mit Flüchtlingen überbelegt, wurde aber bald wieder seinen eigentlichen, ursprünglichen Aufgaben zugeführt.
In den 1950er Jahren stellte man jedoch massive Veränderungen in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht fest. Das führte dazu, dass man sich in Lüneburg fragte, inwiefern das Bonifatiusstift überhaupt noch notwendig und zeitgemäß sei und – wenn ja – was seine Aufgaben seien.
Am 31. Oktober 1957 tagte dazu in Lüneburg eine „Pastoralkonferenz“ unter der Leitung des Direktors des Diözesan-Caritasverbandes, Adalbert Sendker. In dieser Aussprache aller Lüneburger Seelsorger wurde festgestellt, dass zwei Personengruppen unter einem Dach untergebracht seien, die völlig unterschiedliche erzieherische Ansätze verlangten: Heimkinder und Kommunionkinder.
Zu dieser Zeit plante die Gemeinde ohnehin, Kirche und Pfarrhaus neu zu bauen. In diesen Umbauprozess wurde das Bonifatiusstift eingegliedert. Die eigentliche Kommunikantenanstalt wurde nach Weihe verlegt (Seelsorgebezirk Lüneburg-Land).
In der Georg-Böhm-Straße in Lüneburg wurde ein neues Bonifatiusstift errichtet, das von Bischof Heinrich Maria Janssen am 21. Mai 1960 als Kinderheim eröffnet wurde. Die Hildesheimer Vinzentinerinnen, seit 1867 im Bonifatiusstift tätig, übergaben dieses Haus 1962 an die niederländischen „Schwestern der Liebe vom Heiligen St. Vincenz / Schijndel“; dessen Trägerschaft wechselte zum Diözesan-Caritasverband Hildesheim.
1976 wurde das Kinderheim in eine heilpädagogische Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung umgewandelt. Anfang Juni 1979 wurde der Sprachheilkindergarten für zunächst zehn Kinder gegründet, 1985 erfolgte seine Vergrößerung auf zwei und 1993 sogar auf drei Gruppen mit insgesamt 24 Kindern: als „Heilpädagogisches Caritas-Kinderheim St. Bonifatius und Sprachheilkindergarten“.
Sie können sich Bilder vom St.-Bonifatius-Stift anschauen.
Quellen:
- St. Bonifatius („Über uns“)
- Josef M. Sprenger: Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Pfarrkirche St. Marien zu Lüneburg (1858-1958), Lüneburg 1958.
- Reinhold Dyckhoff / Anneliese Reichelt / Thomas Scharf-Wrede (Hg.): St. Marien Lüneburg 1850-2000. Festschrift zum 150jährigen Bestehen der Kirchengemeinde = Hildesheimer Chronik. Beiträge zur Geschichte des Bistums Hildesheim, Band 5, hrsg. vom Bistumsarchiv und Dombibliothek, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 2000.